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NO SUCH THINGS GROW HERE ~
PUBLIC ART von SUSI GELB


Für vier Wochen (21.7 – 21.8.2017) wachsen multimediale Installationen in der Münchner Innenstadt – Odeonsplatz, Max-Joseph-Platz, Lenbachplatz. Tropische Pflanzen, skulpturale Werke, intelligente Materialen und hybride Gebilde verschmelzen in eine unbekannte, gleichzeitig erfahrbare Biosphäre und bilden die urbane Ausstellungskonzeption von Susi Gelb. Alles ist wie ein Wurzelgeflecht angelegt, es gibt keine lineare Narration und keine Hierarchien, vielmehr besteht das Netzwerk aus vielen Querverweisen, die aus den unterschiedlichsten Fach-, Wissens-  und Forschungsgebieten stammen. Der geheimnisvolle Titel NO SUCH THINGS GROW HERE ist eine Einladung zur Entdeckung des Forschungskosmos von Susi Gelb und seiner unbegrenzten Möglichkeiten.

1.01 EXPEDITION
Auf dem unwirtlichen Max-Joseph-Platz lässt Susi Gelb eine tropische Installation mit einem übergroßen LED Screen, Sonnenplattformen, Skulpturen und exotischen Pflanzen wachsen. Ein aufwändig produzierter Film ist das Herzstück der urbanen Intervention. Der Loop auf dem LED Screen entführt uns in Susi Gelbs Forschungskosmos.
Die Videowand ist wie ein Fenster, sie eröffnet eine Hypersicht und Zeit wird Raum. Die Konsistenz und Materialbeschaffenheit der Filmszenen sowie die Zeitwahrnehmung erscheinen surreal. Eine Adlerkamera bietet uns eine ungewohnte Perspektive. Unterwasseraufnahmen, ungewöhnliche Close-ups oder auch High-Speed-Material, das extrem verlangsamt wurde, steigert den leicht verstörenden, aber auch immersiven Sog des Films. Es ist ein Strom, der jeden mitnimmt.
Der atmosphärische Soundtrack zum Video wurde von den griechischen Musikern NOUVELLE und FondaMentalism aus digitalen und analogen Quellen produziert.
Panta rhei ~ alles fließt in diesem Medium ~ ein glitzernder Wassertropfen auf dem Kopf eines Adlers, der sich aufschwingt und durch einen dschungelartigen Wald zu einem Strom fliegt ~ verlangsamt sprudelndes Wasser ~ die oszillierenden, ständig changierenden Farben und Muster der Belousov-Zhabotinsky-Reaktion ~ eine im türkisklaren Wasser schwimmende Schlange ~ Kristallisationsprozesse ~ eine Echse läuft über eine Tastatur ~ reaction diffusion ~ Muster auf der Reptilienhaut. Fließend und geheimnisvoll schwimmt eine Albinoschlange durch fast unwirkliche Szenen, eine visuelle Expedition durch Bewusstseinströme der Natur- und Tierwelt, metaphysische Prozesse aus Alchemie und Wissenschaft, eingehüllt in eine pulsierende Fremdartigkeit.

 

1.02 SMART MATERIALS
Susi Gelb verwendet seit Jahren Materialien, die ein gewisses Eigenleben führen und schwer beherrschbar sind. Ihre multimedialien Installationen werden so zu lebendigen Settings, die die Natur als Medium begreifen und die bestehenden Klassifizierungen von Natürlich und Künstlich hinterfragen.
Intelligente Materialien, die selbständig ihre Eigenschaften verändern und sich an wechselnde Umgebungsbedingungen anpassen, werden zu einem zweiten Naturkosmos. Die Prozesse und Energieumwandlungen der Materialien treten in Kommunikation mit den Pflanzen, Tieren und Menschen um sie herum. In die Betonliegen sind thermochrome Fliesen eingelassen, die mit Farbwechsel auf Temperaturschwankungen reagieren. Das changierende Farbenspektrum ist das Echo der Wärme von Besuchern und Sonne. Die visuelle Resonanz beruht auf einer Flüssigkristallschicht, die sich unter der Glasur befindet. Je nach Temperatur bildet diese Schicht unterschiedliche flüssigkristalline Strukturen aus, die jeweils verschiedene Wellenlängenbereiche des einfallenden Lichts reflektieren und deshalb andersfarbig aussehen. Zwischen 15 – 25°C erfolgt ein Farbwechsel von Dunkelblau über Rot und Gelb nach Türkis.
Auch die Bronze-Opuntien sind durch kristalline Umformungsprozesse entstanden. Bei der Abformung des organischen Pflanzenmaterials mit flüssiger Bronze ist die kahle, teils fein behaarte und stachelige Oberfläche der fleischigen Kakteenblätter teilweise kristallisiert.

 

1.03 TROPEN
„Die Gebiete um den Äquator waren schon immer ein Sehnsuchtsort: Der Urwald, in dem alles wächst; das Äquinoktium, wo die Tage gleich lang hell und dunkel sind. Das ist ein Ort, der mich fasziniert und wo ich leben möchte. In den Tropen spielen auch viele Geschichten, die ich lese und die mich inspirieren, wie z.B. von J. G. Ballard. In den Tropen finden sich Orte, die etwas Verrücktes haben, die Dinge gebären, wo es wuchert und gut wächst. Alles ist dort möglich.“ (Susi Gelb)

2.01 GROW HERE
Die schiefe Palme mit den fächerförmigen Blättern vor der Feldherrenhalle ist echt. Sie lebt und stammt aus einer südlichen Biosphäre, es ist eine zottelige Washingtonia Robusta. Der Asphalt und die Pflastersteine sind wild aufgeworfen. Palmen mit schiefem Wuchs haben sich an ihre unsichere Umgebung angepasst. Der Wurzelballen einer Palme ist verhältnismäßig klein und kompakt, sodass sie auf kleinstem Raum an ihr urbanes Umfeld andocken kann.
Am Eröffnungsabend begannen der Sand und die schweren Betonbrocken um die Palme herum sich plötzlich zu bewegen. Die Palme wurde vorsichtshalber abgesperrt und die herbeigerufene Feuerwehr stellte fest, dass ein unterirdischer Hohlraum unter dem Odeonsplatz der Grund für das Verschwinden von Sand und Steinen war. Der Hohlraum wurde mit flüssigem Beton verfüllt und der Platz war wieder sicher.


3.01 BANANEN
Auf dem Lenbachplatz findet sich eine archäologisch anmutende Situation. Wie das versteinerte Relikt aus einer anderen oder vergangenen Welt mit einer größeren und fremdartigen Pflanzenwelt liegt eine sonderbare Betonskulptur auf der Verkehrsinsel. Um sie herum befinden sich Bananenpflanzen, die umso frischer und grüner leuchten. Über der Szenerie ragt eine riesige Plakatwand wie ein monumentaler Torbogen auf – sie zeigt eine geheimnisvolle Materie aus der Makroperspektive. Die organische Camouflagestruktur ist seltsam fluid und bekommt eine wissenschaftliche Anmutung: Die Formen erinnern an Nahaufnahmen von chemischen Reaktionen und Kristallstrukturen.

 

Text: Nina Gscheider
All images © Susi Gelb, 2017. Courtesy of the Artist.